Endgültige Entscheidung zu Pechstein in 2017?

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat mit seinem Spruch vom 07.06.2016, Az. KZR 6/15, in der Sache von Claudia Pechstein gegen die ISU einen Schlusspunkt gesetzt. Einen vorläufigen Schlusspunkt allerdings, denn Claudia Pechstein hat gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt.

Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich das Urteil des BGH in dieser Sache nicht für überzeugend halte. Dass Claudia Pechstein mit der im Schiedsspruch des CAS gegebenen Begründung niemals wegen eines Dopingverstoßes verurteilt hätte werden dürfen (natürlich unabhängig von der nicht juristischen Frage, ob sie tatsächlich gedopt hat), ist kaum noch zu bestreiten. Bei den deutschen Sportverbänden gilt sie zudem nach der eindeutigen Äußerung des DOSB-Präsidenten als rehabilitiert. So ist es aus meiner Sicht bedauerlich, dass der BGH dem CAS als Schiedsgericht einen Persilschein ausstellt und Claudia Pechstein die – zumindest gut mögliche – rechtliche Rehabilitation versagt.

Entsprechend kritisch ist das Urteil des BGH auch überwiegend im Schrifttum aufgenommen worden. Prof. Dr. Hermann-Josef Bunte, nach seiner Emeritierung von der Helmut Schmidt Universität in Hamburg nunmehr Rechtsanwalt in Bielefeld, wird am deutlichsten: „Die Begründung dafür, ein strukturelles Ungleichgewicht bei der Besetzung des Schiedsgerichts zu verneinen, mutet naiv an“ (EWiR 2016, 415), was er in WuW 2016, 364, 367 noch weiter und insbesondere damit begründet hat, dass der BGH eine Indentität der Interessen der Sportverbände und Sportler angenommen hat. Etwas feiner, aber nicht weniger eindeutig, formuliert es Prof. Dr. Dr. h.c. Hanns Prütting, Universität zu Köln: „Die klaren Ergebnisse des BGH, wonach der CAS ein echtes Schiedsgericht darstellt und die Unterwerfung der Athleten unter die jeweiligen Schiedsklauseln der nationalen und internationalen Verbände als freiwillig anzusehen ist, werden durch vertretbare, aber nicht sonderlich zwingende Entscheidungsgründe untermauert. Warum die Zusammensetzung der geschlossenen Schiedsrichterliste für den CAS und vor allem die Bestellung des Vorsitzenden des konkreten Spruchkörpers bei Uneinigkeit der Parteien bedenkenfrei sind und keiner Reform bedürfen, erschließt sich dem Betrachter nicht“ (SpuRt 2016, 143). Zurückhaltender, aber ebenfalls ablehnend äußert sich Prof. Dr. Peter W. Heermann von der Uni Bayreuth: „Ein ‚blaues Auge‘ ist üblicherweise nur eine vorübergehende Erscheinung und heilt schnell. Der mahnende Zeigefinger des Kartellsenats wird beim CAS gleichfalls kaum nachwirken. Indes ist die Argumentation des BGH, die ihn zu den eingangs dargestellten Rechtsansichten führte, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht mit teils erheblichen Zweifeln behaftet. Diese bleiben einstweilen bestehen und sind kaum geeignet, die nicht nur unter Athleten verbreiteten Vorbehalte gegenüber dem CAS auszuräumen. Hier sollte und kann nicht auf die Selbstheilungskräfte der Natur vertraut werden“ (NJW 2016, 2224). Auch nach meiner Auffassung ist diese zentrale Wertung des BGH nicht haltbar. Dass die CAS-Panel nicht paritätisch und ausgewogen besetzt sind, drängt sich förmlich auf, wenn man die überproportional verbandslastige Besetzung des ICAS (das Gremium, das die Schiedsrichter der Schiedsrichterliste bestimmt) und das Procedere für die Vorsitzendenbenennung lebensnah bei der Bewertung berücksichtigt. Dies wird nach einem Blick auf die nebenstehende Folie aus meinem Powerpoint-Präsentation zu meinem Vortrag zum Fall Claudia Pechstein besonders sichtbar: 16 der 20 Beisitzer werden unmittelbar und mittelbar von Sportverbänden ernannt.Mehr…

Vortrag zur Causa Pechstein an der Uni Bielefeld

Auf die freundliche Einladung der Juristischen Gesellschaft Ostwestfalen-Lippe e.V. halte ich am Dienstag, 25.10.2016, um 18.00 Uhr, in der Universität Bielefeld einen Vortrag mit dem Titel

„Der Fall Claudia Pechstein“.

Im Rahmen des Vortrags werde ich den sportlichen und rechtlichen Verlauf des trotz höchstrichterlicher Entscheidungen immer noch umstrittenen Doping-Falls von Claudia Pechstein – der erfolgreichsten deutschen Olympionikin bei Winterspielen – darstellen. Ein Schwerpunkt wird auf der Analyse der Argumentation des Landgerichts und Oberlandesgerichts München sowie des Bundesgerichtshofs in ihren jeweiligen Entscheidungen liegen. Die BGH-Entscheidung ist in der Literatur überwiegend ablehnend aufgenommen worden, weswegen die Darstellung der kritischen Urteilspunkte ebenfalls nicht zu kurz kommen wird. Da Claudia Pechstein gegen dieses Urteil Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgerichts eingelegt hat, ist ein endgültiges Ende des Streits immer noch nicht absehbar. Auch deswegen gebe ich im Anschluss einen Ausblick auf die wesentlichen Angriffspunkte der unveröffentlichten Verfassungsbeschwerde von Claudia Pechstein und ihre Erfolgsaussichten. Schließlich ist die BGH-Entscheidung in den aktuellen sportrechtlichen und sportpolitischen Gesamtkontext einzuordnen.

Claudia Pechstein und ihr Rechtsanwalt Dr. Thomas Summerer werden, wenn auch nicht persönlich anwesend, im Rahmen von Multi-Media-Einspielern im Rahmen des Vortrags selbst zu Wort kommen. In ihren Referaten im Rahmen meiner Vorlesung an der Universität zu Köln im Dezember 2015 haben Dr. Summerer zu den rechtlichen Hauptangriffspunkten und Claudia Pechstein zu ihrer persönlichen Sicht der Dopingvorwürfe umfassend Stellung genommen. Diese Referate sind aufgezeichnet worden und in voller Länge auf YouTube abrufbar. Ich werde die Highlights aus diesen Referaten als kurzes Video abspielen: In einem Verfahren wie diesem ist es ausgesprochen spannend, die wesentlichen rechtlichen (und auch emotionalen) Argumente von den Protagonisten formuliert zu hören.

Im Anschluss an den Vortragsteil besteht Gelegenheit für Fragen und zur Diskussion. Mein Vortrag am 25.10.2016, 18.00 Uhr, findet in der Universität Bielefeld, X-Gebäude, Hörsaal X-E0-002 statt. Alle Interessenten sind herzlich willkommen!


Bildnachweis:
Bild im Text: Von Ub12vow – Eigenes Werk, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=15245310 (Johannisberg)
Bild im Text: Von Ub12vow – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=19213102 (Universität Bielefeld)

Dr. Thomas Summerer und Claudia Pechstein zu Sportrechtsvorlesung an der Uni Köln

Die Universität zu Köln freut sich auf den Besuch von Rechtsanwalt Dr. Thomas Summerer und seiner Mandantin, der fünffachen Olympiasiegerin Claudia Pechstein, im Rahmen der Vorlesung „Sportrecht“ (gehalten von Dr. Jan F. Orth, Lehrbeauftragter der Rechtswissenschaftlichen Fakultät). Dr. Summerer hat für seine Mandantin vor dem Oberlandesgericht und dem Landgericht München aus sportrechtlicher Sicht bahnbrechende Urteile wegen der gegen sie verfügten Sperre wegen eines Dopingverdachts erstritten. Diese Urteile haben das Potential, das internationale System der Verbandsstrafen und der obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit im Sport auf den Kopf zu stellen. Insbesondere Struktur und Rechtsprechung des Internationalen Sportschiedsgerichtshofs (CAS) stehen auf dem Prüfstand. Sie stehen auch im Zentrum der Kritik der Gerichtsentscheidungen. Die insoweit vorläufig abschließende Entscheidung des Bundesgerichtshofs wird Anfang 2016 erwartet.

Die sportrechtlichen Aspekte der Entscheidungen (Schiedsabrede und deren Freiwilligkeit, internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte, Strukturelle Besetzung der CAS-Panels und ihre kartellrechtliche Zulässigkeit) beleuchtet Rechtsanwalt Dr. Thomas Summerer in seinem juristischen Eingangsreferat aus erster Hand. Danach beantwortet Claudia Pechstein Fragen zu ihrem Fall, zur Wirkung internationaler Sportsperrstrafen und zu den persönlichen Einschränkungen, denen sie im Rahmen der aktuellen Dopingüberwachung unterliegt. Hiernach stehen Herr Dr. Summerer und Frau Pechstein auch für Fragen aus dem Plenum und eine Diskussion zur Verfügung.

Die Vorlesung findet statt am Mittwoch, 16.12.2015, 18 Uhr s.t., Hörsaal II,  (Hauptgebäude). Gäste sind herzlich willkommen! Im Anschluss besteht in gemütlicher Runde Gelegenheit zum weiteren Gedankenaustausch.Mehr…

Der CAS ist tot, es lebe der CAS! Zur Zukunft des Sportschiedsgerichts

Darüber, dass die Pechstein-Verfahren des Landgerichts München I und des Oberlandesgerichts München die sportrechtliche Welt dauerhaft verändern können, ist viel geschrieben worden. Vermutlich Anfang 2016 wird sich der BGH im Wege des Revisionsverfahrens mit der Causa Pechstein beschäftigen und eine zunächst endgültige Entscheidung dazu treffen, ob CAS-Schiedssprüche der Kontrolle durch deutsche Gericht unterliegen. Die rechtlichen Anknüpfungspunkte dafür sind mannigfaltig. Die aufgeworfenen Fragen komplex.

SpuRt_160wIn diesem Zusammenhang ist dem Internationalen Sportschiedsgerichtshof wegen behaupteter Mängel gerade aus Deutschland wiederholt ein heftiger Wind ins Gesicht geschlagen. Wenn der CAS durch eine BGH-Entscheidung auf der Linie der Vorgerichte sein Letztentscheidungsmonopol für sportliche Sachverhalte verliert, ist er als Institution erheblich in Frage gestellt. Im Heft 6/2015 der Zeitschrift für Sport und Recht (SpuRt) – erscheint im Dezember – setze ich mich in einem Aufsatz mit dem Titel „Zur Zukunft der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit im Sport – auch in Deutschland“ mit Kritikpunkten an den CAS-Strukturen auseinander und frage, welche Reformen für eine Zukunft des CAS notwendig sind. Bei allem Reformbedarf stelle ich jedoch fest, dass ein Internationales Sportschiedsgericht, das nach bewährten rechtsstaatlichen Standards arbeitet, für den weltweit organisierten Sport unverzichtbar ist. Deswegen sollten die Reformen nunmehr gemeinsam angegangen werden.

Nach der Einleitung

„Entscheidet der BGH zu Beginn des Jahres 2016 in der Sache „Pechstein“, wird er damit zugleich Pflöcke für die Zukunft der Schiedsgerichtsbarkeit im Sport und damit auch für die Zukunft des CAS einschlagen, so viel ist klar. Öffentliche Kritik und richterliche Zweifel an dem Sportschiedsgericht scheinen häufig ein deutsches Phänomen zu sein, was auch schon moniert worden ist. Im Vorfeld der höchstrichterlichen Entscheidung scheinen ein paar Überlegungen zur Zukunft angebracht.“

überprüfe ich unter den Gliederungspunkten zunächst die Frage, ob das Rechtsstaatlichkeitspostualt als deutsche Spezialität in einem allgemeinen Konsens ein Störfaktor ist oder auf einem größeren Rechtskonsens beruht (I.). Aspekte des Schiedszwangs (II.) werden ebenso behandelt, wie wohl feststehende Besetzungs- und Verfahrensmängel (III.). Und natürlich muss bei für Athleten gleichsam lebenswichtigen Sachverhalten ein besonderes Augenmerk auf die Entscheidungsqualität (IV.) gelegt werden.

Die Überlegungen führen mich zu folgendem Fazit:

„Bestätigt der BGH die Entscheidung des OLG München, geht der CAS einstweilen unter. Er wird aber bald wieder auftauchen, weil er gebraucht wird und gewollt ist. Gewollt ist heute aber ein anderer, ein reformierter CAS. So ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass die Anforderungen an die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens vor dem CAS einer gewissen Dynamik unterliegen; „was vor Jahren akzeptiert wurde, gilt allenfalls heute nicht mehr“. Diese Weisheit gilt für rechtliche Anforderungen in den verschiedenen Lebensbereichen: So war für den Unternehmens- wie den Sportjuristen der Begriff der „Compliance“ im Jahr 2000, in dem jüngsten Berichten zufolge außeretatmäßige Zahlungen die Vergabeentscheidung einer Fußballweltmeisterschaft beeinflusst haben sollen, eher noch ein Fremdwort mit allenfalls groben Konturen. Und auch Bundesministerin Ursula von der Leyen kämpft wahrscheinlich im Wesentlichen damit, dass die fachspezifischen Sorgfaltsanforderungen bei der Abfassung einer Dissertation heute deutlich strenger sind als vor 25 Jahren. Eine solche Verschiebung in der rechtlichen aber auch moralisch-ethischen Bewertung mag dazu führen, dass wir in der Vergangenheit liegende Sachverhalte mit einer gewissen Milde betrachten.

Für die Zukunft indes müssen ernsthafte Bemühungen erkennbar sein, mit der Organisation die nunmehr geltenden Regeln und Vorstellungen einzuhalten. Dies funktioniert – in allen Bereichen! – am besten mit strukturellen Veränderungen. Für den CAS sind die Zeichen der Zeit erkannt: Es müssen an den Problemstellen grundlegende Reformen her, damit der CAS endgültig ein vollwertiges Schiedsgericht nach rechtsstaatlichen Grundsätzen wird. Nur so wird der Gerichtshof den gegenwärtigen rechtlichen Anforderungen an Schiedsgerichte und den zu Recht postulierten Gerechtigkeitsansprüchen der Athleten gerecht.

Diese Anforderungen und Wünsche sind keine deutsche Spezialität. Das Schutzniveau ist jedenfalls in Europa i.W. einheitlich; es wird auch in vielen der anderen demokratisch verfassten Staaten erreicht. Mit weniger dürfen wir uns allerdings nicht zufriedengeben. Auch hier kann der organisierte Sport einmal mehr wichtiges Transportmittel für Werte sein. Hierzu gibt es keine Alternative: Denn ein weltweit hohes rechtsstaatliches Schutzniveau ist für den Athleten und die Glaubwürdigkeit des Sportrechts nie schlecht. Und den dieses Netz aufspannenden Verbänden steht es – gerade in der heutigen Zeit – bestens zu Gesicht.“

Die ausführliche Argumentation und die vertiefte Analyse kann ab Dezember im Heft 6/2015 der SpuRt nachgelesen werden. Das Ergebnis indes steht fest: Der CAS als Internationaler Sportschiedsgerichtshof ist ebenso unverzichtbar wie dringend notwendige Reformen an seiner Struktur.

 


 

Bildnachweis: Gebäude des CAS in Lausanne. Eigenes Werk von Fanny Schertzer unter CC-BY-3.0-Lizenz. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Court_of_Arbitration_for_Sport_-_Lausanne_2.jpg. Vorgenommene Veränderungen: Schwarzweiß-Filter.

Analytische Gliederung der „Pechstein-Entscheidung“

Das Urteil des Landgerichts München I (Urt. v. 26.02.2014, Az.: 37 O 28331/12) in Sachen Claudia Pechstein gegen DEG e.V. u.a. umfasst in der anonymisierten pdf-Fassung 58 DIN A4-Seiten – eine Länge, die nicht gerade zum Lesen einlädt. Der Tatbestand reicht bis Seite 22; die Entscheidungsgründe beginnen ab Seite 23. Die Ausführungen der Kammer zur Zulässigkeit reichen bis Seite 53 unten. Für die Feststellung der Unbegründetheit der verbliebenen drei zulässigen Anträge braucht die Kammer gerade einmal fünf Seiten. Die zulässigkeitslastige Entscheidung ist ein ausführlich und sorgfältig begründetes, gut formuliertes und an vielen Stellen überzeugendes landgerichtliches Urteil.

Die Entscheidung ist hochspannend, außerordentlich komplex und vieldiskutiert; letzteres nicht nur in der Rechtswissenschaft, sondern natürlich auch in der gesamten Sportwelt,  der Sportpolitik und der Öffentlichkeit.

Für eine zu veröffentlichende Besprechung habe ich die sehr komplexen Urteilsgründe ausgewertet und analytisch gegliedert. Vielleicht wird diese Gliederung von anderen als instruktiv empfunden; deswegen habe ich sie hier gerne veröffentlicht. Auch wenn m.E. die Gliederung die Erfassung der Urteilsgründe erleichtern kann, ist sie eher an fachkundige Interessenten gerichtet. Ich würde mich freuen, wenn die Ausarbeitung als nützlich empfunden wird.