[UPDATE 20.02.2015: Siehe hierzu auch mein Interview auf ZEIT online]
„Der Deutsche Fußball-Bund, seine Mitgliedsverbände, ihre Mitgliedsvereine und Tochtergesellschaften sowie die Spieler, Trainer, Schiedsrichter, Funktionsträger und Einzelmitglieder bekennen sich zu den Grundsätzen der Integrität, Loyalität, Solidarität und Fairness und sorgen für die Einhaltung dieser Grundsätze und für Ordnung und Recht im Fußballsport.“ Das sieht § 1 Nr. der Rechts- und Verfahrensordnung des DFB vor und überträgt die diesbezüglichen Aufgaben dem DFB-Kontrollausschuss, dem Sportgericht und dem Bundesgericht (§ 3) – seiner Sportgerichtsbarkeit.
Nach den Vorfällen beim Spiel Mönchengladbach gegen den 1. FC Köln am Karnevalssamstag erscheint schon vor einer Entscheidung in der Causa naheliegend, dass diese Sportgerichtsbarkeit an ihre Grenzen stößt. Dabei ist der systematische Ansatz richtig, gut und muss unbedingt beibehalten werden: Im Rahmen seiner Autonomie ist der gesamte organisierte Sport – und nicht nur der Fußball – gehalten, seine Angelegenheiten durch Regeln zu bestimmen und die Einhaltung dieser Regeln auch durch seine Organe zu überwachen. Dies hat – nicht nur im Ausgangspunkt – auch beim 1. FC Köln und dem problematischen Teil seiner Fanszene gut funktioniert. Der Verein hat sich mit großem Engagement und hohem finanziellen Einsatz auch seinen Problemfans angenommen und insbesondere mit den Methoden der Kommunikation und Fanarbeit durchaus gute Erfolge erzielen können. Die Taten, die in fünf Spielen der Saison 2013/2014 letztlich auch zur Aussprache eines Teilzuschauerausschlusses in zwei Heimspielen zur Bewährung führten, und der widerliche Platzsturm durch maskierte Kriminelle in Mönchengladbach, der nach aller Voraussicht zu einer weiteren harten Strafe durch den DFB führen wird, sind aber letztlich keine Taten von Fußballfans. Es sind die Taten von Kriminellen, denen die Werte des Sports egal sind und die außerhalb der Sportgemeinschaft stehen. Sie unterstehen nicht unmittelbar der Strafgewalt des DFB und seiner Sportgerichtsbarkeit. Auch der 1. FC Köln hat, selbst wenn sie seine Mitglieder sein sollten, nur sehr begrenzte Sanktions- und Einwirkungsmöglichkeiten. Eine Ausnahme mag allenfalls die für die Adressaten sehr schmerzhafte und deswegen sehr wirkungsvolle „Weitergabe“ der verbandlichen Geldstrafen im Regresswege ausmachen, deren juristische Haltbarkeit allerdings bestritten wird.
Wenn alle Einwirkungsmöglichkeiten scheitern, weil sie nicht gegeben oder aussichtslos sind, weil die eigentlichen Adressaten nicht willens und offensichtlich auch nicht in der Lage sind, ihr Verhalten allgemein akzeptierten Minimalstandards anzupassen, dann muss die große Sozialkontrolle durch die Gesellschaft her. Auch der 1. FC Köln hat diese letztlich in seiner Erklärung vom Montag eingefordert.
Mit dem Strafrecht setzen wir Verhaltensnormen durch, die wir für das gedeihliche Zusammenleben in der Gesellschaft als unerlässlich erachten. Jetzt ist der Punkt erreicht, an dem wir alle sagen müssen, dass regelkonformes Verhalten im Stadion dazu gehört. Neben der Arbeit der Vereine und Verbände und der Sportgerichtsbarkeit ist nunmehr das staatliche Strafrecht als weiteres Mittel zu fordern. Das unerträgliche Verhalten von Pseudofans demontiert nicht nur den Sport, seine Werte und sein schönstes Erlebnis im Stadion, nein, es stellt zugleich auch eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar. Regelwidriges, gewalttätiges, beleidigendes, unangemessenes Verhalten im Stadion ist nicht nur ungewünscht, es ist gefährlich: Die Eskalationsgefahr ist Großveranstaltungen immanent und insbesondere unbeteiligte, friedliche und anständige Sportfans unterliegen der latenten Gefahr, durch die Handlungen Dritter an ihrer Gesundheit zu schaden zu kommen. Nicht umsonst gibt es für Versammlungen, die ihrem Wesen nach in vierlei Hinsicht mit großen Menschenansammlungen im Stadion vergleichbar sind, eigene strafrechtliche Bestimmungen.
Der Gesetzgeber in Großbritannien hat es mit strenger, fußballspezifischer und insbesondere gegen „hooliganism“ gerichteten Vorschriften vorgemacht: Der Football Spectators Act 1989 führt auf indirektem Wege, über ein Lizenzierungsmodell für Sportstätten letztlich für alle an der Meisterschaft teilnehmenden Mannschaften die Pflicht ein, reine Sitzplatzstadien zu haben. Der 1985 Sporting Events (Control of Alcohol) Act verbietet in weiten Teilen den Verkauf, die Weitergabe und den Konsum (!) von Alkohol vor, während und nach Spielen. Schließlich stellt der 1999 Football (Offences and Disorder) Act bestimmtes Fanverhalten explizit unter Strafe, wie etwa das Abschießen von Raketen auf das Spielfeld, das Absingen unangemessener („indecent“) oder rassistischer Lieder und das Betreten des Platzes. (Vgl. auch die lesenswerte Zusammenstellung in: Johannes Alexander Brand, „Crowd Disorder and Association Sanctions in European Football“, Thesis, University of Dublin, 2014). Dies hat beispielsweise im Zuständigkeitsbereich der FA dazu geführt, dass dieser Verband die verschuldensunabhängige Haftung, welche die FA ebenfalls in ihren Statuten vorsieht, kaum zur Anwendung bringt (bringen muss), weil die eigentlichen Übeltäter vom Staat zur Raison gebracht werden können (Brand, a.a.O., S. 80).
Auch wenn es bei richtigem Verständnis unserer Freiheitsrechte in Deutschland problematisch erscheint, den Konsum von Alkohol vor und nach dem Spiel zu untersagen – ganz unabhängig von der Frage, ob dies im Einzelfall nicht tatsächlich wünschenswert wäre –, gibt die Rechtsetzung im Vereinigten Königreich gute Anregungen dafür, einige essentielle Wohlverhaltensregeln für das Stadion durch Strafbewehrung abzusichern. Der überwiegende Großteil aller Stadionbesucher, die diese Regeln für ihre eigene und die Sicherheit anderer ohnehin für selbstverständlich und unerlässlich erachten, wird durch einen neuen Straftatbestand nicht betroffen. Er ermöglicht aber den Strafverfolgungsbehörden gegen kriminelle Chaoten, die ein Sportereignis mit einer Plattform für ihre bizarren Eigeninteressen verwechseln und damit andere gefährden, effektiv vorzugehen.
In Betracht käme es etwa in den 7. Abschnitt des Strafgesetzbuches – Straftaten gegen die öffentliche Ordnung – einen neuen Paragraphen einzufügen. Ein erster Rohentwurf sieht so aus:
§ 123a StGB. Störung von Sportveranstaltungen.
(1) Wer als Zuschauer bei einer Sportgroßveranstaltung innerhalb des befriedeten Veranstaltungsgeländes
- Sicherheitskontrollen umgeht,
- sicherheitsrelevanten Anweisungen des Sicherheitspersonals oder von Polizeieinsatzkräften nicht Folge leistet oder diese Personen zu nötigen versucht oder Gewalt gegen sie einsetzt,
- Absperrungen übersteigt oder überwindet,
- Einrichtungen beschädigt,
- sich am Absingen oder Skandieren diskriminierender oder menschenverachtender Parolen beteiligt,
- Spruchbänder mit diskriminierendem oder menschenverachtenden Inhalt öffentlich macht oder bei sich führt,
- pyrotechnisches Material mit sich führt oder abbrennt,
- Gegenstände in den Veranstaltungsinnenraum wirft, soweit diese Gegenstände bei ihrer Verwendung als Wurfgeschoss geeignet sind, Menschen zu verletzen,
- in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, teilnimmt oder Gegenstände mit sich zu führt, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern,
- entgegen eines Verbots des Veranstalters alkoholische Getränke anbietet oder bei sich führt,
- ohne hierzu berechtigt zu sein, den Veranstaltungsinnenbereich betritt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) In den Fällen von Absatz 1 Nr. 1, 3 und 11 ist der Versuch strafbar.
Es ist klar, dass Teile der Vorschrift mit anderen Straftatbeständen des StGB oder des Nebenstrafrechts, die ähnliches Verhalten teilweise bereits jetzt unter Strafe stellen, in Konkurrenz stehen. Insoweit kann die Vorschrift aber auch subsidiär eingreifen, wenn es etwa bei den Beleidigungs- oder Körperverletzungsdelikten an einem Strafantrag mangelt. Außerdem ist mit der neuen Vorschrift ein anderes Rechtsgut geschützt, nämlich die „öffentliche Sicherheit und Ordnung“. Schließlich stellt der Katalog eine handhabbare Auflistung der wichtigsten Regeln des Wohlverhaltens im Stadion dar. Und abschließend stellt auch die auch im Bundeszentralregister einzutragende tateinheitliche Verurteilung wegen „Störung von Sportveranstaltungen“ eine wichtige Klassifizierung des abgeurteilten Verhaltens dar, die insbesondere für die weitere Strafverfolgung, präventive Polizeimaßnahmen und die zu treffende individuelle Gefahrenprognose bei der Verhängung eines bundesweiten Stadionverbots sehr hilfreich ist.
Wer nicht bereit ist, sich an diese einfachsten Grundregeln zu halten, kann, wird und soll am Fußball nicht teilhaben. Weder beim 1. FC Köln noch sonst wo. Zu Recht will sich der Verein nicht mit Straftätern an einen Tisch setzen. Das gilt für uns alle. Deswegen ist an dieser Stelle ganz klar festzuhalten, dass eine neue Vorschrift Niemanden kriminalisiert, der nicht schon vorher kriminell wäre. Sie ist aber ein deutliches gesellschaftliches Signal und wird dauerhaft für einen friedlicheren Sportbetrieb sorgen. Denn dann sind die Regeln ganz klar und unauslegbar. Sie stehen im Strafgesetzbuch. Der Strafrichter setzt sie durch. Der Verwendung nicht unbestrittener und rechtlich diffiziler anderer Sanktionen und Maßnahmen bedarf es dann nicht.
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