Neuer Aufsatz: „Sportrecht ist Wirtschaftsrecht“

DC2012-381szeneHier sind ein paar kurze Auszüge und die Gliederung aus meinem aktuellen Aufsatz „Sportrecht ist Wirtschaftsrecht“, der in Kürze in der Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht als Einführungsbeitrag zur Ausgabe mit einem sportrechtlichen Schwerpunkt erscheint. Der Aufsatz führt grundlegend in das Sportrecht ein und beleuchtet dann ein paar aktuelle Fragen aus diesem spannenden und fordernden Rechtsgebiet.

Richter am Landgericht Dr. Jan F. Orth, LL.M. (University of Texas)*

Sportrecht ist Wirtschaftsrecht

1. Einführung und Bedeutung

Sportrecht versteht sich als Querschnittsmaterie.[1] Etwas moderner und neudeutsch gefasst, würde man vielleicht von einer Crossover-Disziplin sprechen. Diese umfasst das von den Sportverbänden im Rahmen ihrer Autonomie gesetzte Recht einerseits und andererseits alle Normen des staatlichen Rechts, die speziell zur Regelung sportspezifischer Sachverhalte geschaffen sind (ausdrücklich z.B. § 6a AMG) oder in ihrer konkreten Anwendung Sachverhalte mit sportrechtlichem Bezug regeln.[2] Letzteres kann im Ausgangspunkt jede Rechtsnorm sein. Hierbei stellt es für den Sportrechtler die entscheidende Herausforderung dar, mit den anerkannten juristischen Methoden die Berücksichtigung der besonderen Spezifika des Sports bei der Subsumtion unter Normen zu erreichen, die teilweise vor Jahrzehnten erlassen wurden, aber bei ihrem Erlass auf alles andere als auf sportliche Sachverhalte zugeschnitten oder für ihre Regelung intendiert waren.

Mehr…

Anwaltstag 2013 – Kurzstatement zur „strict liability“

DC2012 482

Rote Karte für Fanausschreitungen! Wie geht das in rechtlicher unangreifbarer Weise?

In der Podiumsdiskussion auf dem Deutschen Anwaltstag 2013 zum Thema Fanausschreitungen – rechtliche Bewertungen und Konsequenzen werde ich im Wesentlichen die nachfolgende Position vertreten, welche hier selbstverständlich nur als sehr verkürzte Vorabinformation dargestellt werden kann. Die rechtlichen Ansatzpunkte sind vielfältig und im Detail schwierig.

Kurzstatement

Die grundrechtlich geschützte Verbandsautonomie nach Art. 9 Abs. 1 des Grundgesetzes gewährt den Sportverbänden ein umfassendes Recht zur Selbstorganisation und -regulation. Dieses Grundrecht ist jedoch nicht schrankenlos gewährleistet. Unter anderem sind konkurrierende Grundrechtspositionen zu beachten, wie etwa das ebenfalls nach dem Grundgesetz für Strafen vorausgesetzte Schuldprinzip. Soweit Sportverbände echte Strafen verhängen, sind sie im Rahmen ihrer Autonomie wegen des geltenden Schuldprinzips daran gehindert, in ihrem selbst gesetzten Recht vorzusehen, dass Vereine für das (schuldhafte) Verhalten ihrer Anhänger ohne Rücksicht auf eigenes Verschulden haften, soweit dieses Verhalten nicht aufgrund bestehender gesetzlicher Bestimmungen zugerechnet werden kann. An dieser Rechtslage hat sich auch nach der Entscheidung des Ständigen neutralen Schiedsgerichts für Vereine und Kapitalgesellschaften der Lizenzligen in Sachen Dynamo Dresden nichts geändert, weil – soweit bislang ersichtlich – dieses eine derartige Haftung nur für solche Fälle goutiert hat, in denen bei der in Rede stehenden Maßnahme der präventive Charakter überwiegt oder dominiert. Zukunftsherausforderung für die Rechtswissenschaft ist es, die trennscharfen Abgrenzungskriterien zwischen präventiven und repressiven Maßnahmen – also zwischen Gefahrenabwehr und Strafe – im Sport genau zu definieren.

Zu Recht? Dynamo Dresden unterliegt vor Schiedsgericht

Der überraschende Gang von Dynamo Dresden vor das Ständige neutrale Schiedsgericht für Vereine und Kapitalgesellschaften der Lizenzligen endete heute mit einem weniger überraschenden Ergebnis. Das hochkarätig besetzte Gericht unter dem Vorsitz von Richter am BVerfG a.D. Prof. Dr. Udo Steiner hat die vorangehenden Urteile des DFB-Sportgerichts und des DFB-Bundesgerichts insgesamt für rechtmäßig und damit jedenfalls teilweise den umstrittenen § 9a der RuVO/DFB für wirksam befunden. Dies hat der DFB heute in einer Pressemitteilung erklärt.

Allerdings ist die „weitreichende grundsätzliche Bedeutung“, die der ebenfalls hoch geschätzte DFB-Vizepräsident RiOLG Dr. Rainer Koch aus dem Richterspruch liest, ohne Vorliegen der schriftlichen Begründung der Entscheidung offensichtlich nicht ohne Weiteres zu entnehmen. Ausweislich der in der Pressemitteilung zitierten Aussage vom Vorsitzenden Prof. Dr. Steiner hat das Ständige neutrale Schiedsgericht gerade nicht „endgültig über seit Jahren streitige Rechtsfragen“ entschieden und „[…] konkret die verschuldensunabhängige Haftung gemäß § 9a der Rechts- und Verfahrensordnung des DFB“ (so Koch) für rechtmäßig erklärt. Denn Steiner führte – zitiert nach der DFB-Pressemitteilung – aus: „Die Vorschrift […], der das schuldhafte Verhalten der Anhänger dem jeweiligen Verein zurechnet, ist rechtlich nicht zu beanstanden, soweit die Vorschrift Grundlage für Maßnahmen des Verbandes ist, bei denen der präventive Charakter überwiegt oder dominiert. Der Ausschluss von Dynamo Dresden ist eine solche Maßnahme, bei der die Vorbeugung von Störungen des Spielbetriebs ganz im Vordergrund steht.“

Damit steht, jedenfalls auf Basis der Pressemitteilung, fest, dass das Ständige neutrale Schiedsgericht die verschuldensunabhängige Haftung nur dann als rechtmäßig ansieht, wenn sie Basis für präventive Maßnahmen wird, und nicht zur Begründung repressiver Mittel, also Strafen und Sanktionen, herangezogen wird.

Damit bleibt die Diskussion über den Kern der angesprochenen Rechtsfrage (Zulässigkeit von Strafe nach verschuldensunabhängiger Zurechnung fremden Verschuldens) in Wirklichkeit auch nach dieser Entscheidung offen und spannend. Die schriftliche Urteilsbegründung bleibt in jedem Fall abzuwarten; sie dürfte von den Sportrechtlern in Deutschland mit großer Neugier erwartet werden. Das bereits angekündigte Streitgespräch am 07.06.2013 auf dem Deutschen Anwaltstag in Düsseldorf ist also um einen weiteren spannenden Gesichtspunkt reicher.

 

New Article: Explaining the Cologne Circumcision Decision

These are the first lines and the table of contents of my newest article „Explaining the Cologne Circumcision Decision“. It has been accepted for publication in the Journal of Criminal Law and will be printed in an immanent issue shortly.

Jan F. Orth*
Keywords: Religiously motivated circumcision; Circumcision as criminal assault; Consent to medical operation of minors; Parental rights; German criminal law

The decision of the Cologne Regional Court[1] (Landgericht Köln)[2] on religiously motivated circumcisions allegedly banned those circumcisions in Germany – or at least a part of Germany. The opinion of the court was discussed worldwide and was continually misconstrued as a broader signal emanating from Germany that reflects potential discrimination and ignorance of important religious groups and their needs. The author was the spokesperson of the court for this case, a judge himself at the Cologne Regional Court at the time. He explains the legal and factual background as well as the reaction of the German legislator to the decision. He clearly rejects the notion that this decision is discriminatory in nature. On the contrary, it shows a remarkably liberal approach, although references from its holding may indeed limit religious communities in practicing circumcisions.

For the English reader this article provides an illustrative presentation of the fundamental differences between the Civil and Common Law legal systems, an introduction to the German criminal law and therefore a distinction from “Gillick”[3], the leading case in the UK regarding consent and its necessity for medical actions on minors. In the case, the House of Lords held that minors can in some circumstances validly consent to medical treatment without additional consent from their parents and that “parental rights” are not an obstacle to this as they exist only in a sense to be a safeguard to the best interests of a minor. This article shows that there is a tension between this and the current German approach. Obviously, the German understanding of “parental rights” goes distinctly further. […]

Read more… in an immanent issue of the Journal of Criminal Law

Table of contents:
1. Initial Remarks
– Judges and Spokespersons.
– The Reputation of Germany in the International Community.
2. Should judges decide critical and complex socio-political questions?
3. The case history of the circumcision decision
4. The decision
– Proceedings.
– The law on medical operations.
– Contents of the opinion.
5. Binding effect and legal as well as practical consequences of the decision
6. Reactions to the court
7. Reaction of the German legislator
8. Reception in the German population
9. Outlook

 


* The author is a Judge and worked at the Cologne Regional Court at the time the Court rendered the circumcision decision. He was the Spokesperson of the court on duty for this particular case. Currently, he is seconded to the Ministry of Justice of North Rhine Westphalia. Moreover he is an Adjunct Professor at the University of Cologne. […] The views expressed in this article are the personal ones of the author only. They do not necessarily correspond with the views of the Judge concerned, the Cologne Regional Court, its Chief Justice (President) or the Justice of the State of North Rhine Westphalia. The author wishes to thank Mr Jeremy DeWaal, Nashville, for proofreading the text.

[1] Regional Courts (Landgerichte) in Germany have chambers for criminal and civil law cases, both as court of first instance and as court of appeals. In this case, the chamber acted as a court of appeals. “Landgerichte”, often translated also as “District Courts”, are intermediate courts, which have superior courts above them and lower courts below them. However, in order to distinguish them from the “District Courts” in terms of the US-American legal systems, it should be noted that German Regional Courts are state courts (not federal courts), which nevertheless apply and enforce federal German law, like the German Criminal Code (StGB) or the German Civil Code (BGB) for instance.

[2] The Cologne Regional Court is one of the largest Regional Courts in Germany. It has jurisdiction over more than two million residents in its district and about 150 permanently employed full-time judges.

[3] Gillick v West Norfolk and Wisbech Area Health Authority [1985] 3 All ER 402.

 

Picture reference: Picture taken from http://commons.wikimedia.org/wiki/File%3ACovenant_of_Abraham.JPG. Attribution: By Cheskel Dovid (Own work) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-3.0 http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/, via Wikimedia Commons

Schimke und Orth streiten auf Anwaltstag über „strict liability“

DAT-Banner-2013onlineProf. Dr. Martin Schimke, LL.M., und RLG Dr. Jan F. Orth, LL.M.,  streiten am 7. Juni 2013 auf dem Deutschen Anwaltstag 2013 im Düsseldorf Congress Center im Rahmen einer Podiumsdiskussion öffentlich über die Vereinbarkeit der „strict liability“ mit staatlichem und Verbandsrecht. Die Podiumsdiskussion findet im Rahmen des Sportrecht-Schwerpunkts in Raum 27 des CCD von 13.45 Uhr bis 15.00 Uhr statt und wird von der DAV-ARGE Sportrecht veranstaltet.

Das Aufeinandertreffen der Diskutanten dürfte durchaus spannend werden: Martin Schimke war Vorsitzender des CAS-Panels, welches mit seiner berühmten Entscheidung Feyenoord Rotterdam ./. UEFA (SpuRt 2007, 164) die UEFA-Regelungen zur strict liability von Vereinen für ihre Fans für materiell wirksam erklärt und damit letztlich den Ausschluss von Feyenoord Rotterdam aus dem laufenden UEFA-Cup bestätigt hat. Jan F. Orth hat diese Entscheidung und die zu Grunde liegende „Gefährdungshaftung für Anhänger“ seinerzeit in seiner Dissertation und auch später mit deutlichen Worten kritisiert (SpuRt 2009, 10), worauf Martin Schimke zwischenzeitlich erwidert hat (Schimke in: Walker [Hrsg.], Hooliganismus – Verantwortlichkeit und Haftung für Zuschauerausschreitungen, Stuttgart 2009). Es ist zu erwarten, dass im Rahmen der Podiumsdiskussion die facettenreiche, nach wie vor brandaktuelle und spannende Problematik bis ins Detail ausgeleuchtet wird. Obwohl dieses Rechtsproblem einmal mehr „Glaubensfrage“ zu sein scheint, gibt es zahlreiche bemerkenswerte Argumente sowohl für die Befürworter- als auch für die Gegnerseite, so dass sich das Publikum auf eine anregende Diskussion als eine hervorragende Grundlage für eine eigene Meinungsbildung freuen kann.

An der Podiumsdiskussion nimmt ferner Rechtsanwalt Oskar Riedmeyer, stv. Vorsitzender des DFB-Bundesgerichts, teil, der spannende Hinweise auf neueste Tendenzen in der Rechtsprechung der DFB-Gerichte und jüngste Entwicklungen in den DFB-Regularien geben kann.

Die Moderation übernimmt Rechtsanwalt Dr. Thomas Summerer, München.

Ja zu einer erweiterten Dopingstrafbarkeit

Soll Doping auch für den dopenden Sportler über die Besitzstrafbarkeit der nichtgeringen Menge hinaus zu sanktionieren sein? Diese Frage ist im Ausgangspunkt einfach zu beantworten: Ja. Wer dopt, also über grundlegende Werte des Sports, des Fair Play und der Fairness täuscht, verdient eine Sanktion. Soll es auch eine staatliche Sanktion sein? Ja. Wie die Vergangenheit gezeigt hat, sind hier nicht nur die sportlichen Regeln großer Verbände mit einem gemeinsamen Ideal verletzt worden (dann wären nach der Vereinsautonomie gemäß Art. 9 Abs. 1 GG sie – und nur sie – zuständig). Vielmehr überschreitet der dopende Sportler Grenzen, deren Einhaltung die Gesamtgesellschaft für ein gedeihliches Miteinander für unerlässlich hält. Dies rechtfertigt es, dass Doping durch den Sportler als Straftatbestand mit typisiertem Unrecht in die Gesetzbücher aufgenommen wird. Die Vielzahl der aus dem Sport selbst erwachsenden Verdachtsfälle darf nicht mehr nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt werden, nur weil der dopende Sportler weniger als die „nichtgeringe Menge“ besitzt (vgl. §§ 95 Abs. 1 Nr. 2b, 6a Abs. 2a AMG).

Ob und wie dies umgesetzt werden soll, ist derzeit umstritten. Insbesondere der DOSB ist skeptisch, die Regierungskoalition zeigt sich eher sperrig. Die wesentlichen Argumente sind früh ausgetauscht worden (Röwekamp/Bach, ZRP 2006, 239; Prokop, SpuRt 2006, 192; Krähe, SpuRt 2006, 194). Zwar ist die Diskussion fortgeschritten und hat sich verfeinert, aber für die Grundsatzpositionen gelten prinzipiell noch die gleichen Argumente. Da kann man kaum der Versuchung widerstehen, sich als Schiedsrichter in die Mitte zu setzen und zu fragen, welche Seite die besseren Argumente hat.

Mich überzeugen die Pro-Argumente, insbesondere die von Prokop (aaO). Wer als Sportler dopt, wird durch einen Straftatbestand nicht kriminalisiert. Er/Sie ist nach dem gesellschaftlichen Verständnis bereits kriminell. Sein/Ihr Verhalten ist damit generell inakzeptabel grenzüberschreitend. Prokop ist Recht zu geben: Wer vorsätzlich (und nur darum geht es natürlich) am Dopingsystem teilnimmt, ist Täter und nicht Opfer.

Die Contra-Argumente scheinen mir weniger stichhaltig zu sein (die Nummerierung folgt Krähe, aaO):

1. Dass dem Beschuldigten im Strafverfahren nicht nur ein Aussageverweigerungsrecht, sondern sogar ein Recht zur Lüge zusteht, wodurch die Dopingaufklärung im staatlichen Strafverfahren sogar erschwert werden könnte, weil der Sportler die Ermittlungsbehörden dadurch behindern könnte, stimmt erstens nur im Ausgangspunkt und überzeugt zweitens nicht. Das „Recht zur Lüge“ für den Beschuldigten findet nämlich seine Grenzen in anderen strafrechtlichen Normen. So darf der Beschuldigte regelmäßig nur in Bezug auf seine eigenen Tatbeiträge die Unwahrheit sagen. Schwärzt er andere falsch an, um den Verdacht von sich zu lenken, oder entlastet er andere wahrheitswidrig, um sie zu schützen, kann sich u.a. wegen falscher Verdächtigung (oder auch §§ 185 ff. StGB) respektive u.a. wegen Strafvereitelung strafbar machen. Dass es den Strafverfolgungsbehörden und den Gerichten ein leichtes ist, angesichts ihrer Erkenntnismöglichkeiten mit einem solchen Einlassungsverhalten umzugehen, stellt die deutsche Strafjustiz täglich unter Beweis. Im Übrigen empfiehlt sich aus Tätersicht ein solches Vorgehen auch gar nicht. Überschreitet der Beschuldigte die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens, ist dies anerkannter Strafschärfungsgrund. Selbst wenn das noch nicht der Fall ist, fehlt ihm aber immer dann der im deutschen Strafrecht so wichtige Strafmilderungsgrund des von Reue und Einsicht geprägten Geständnisses. Ein weiteres probates Mittel ist natürlich die in der aktuellen Diskussion befindliche „Kronzeugenregelung“. Diese ist mittlerweile dem deutschen Strafrecht alles andere als fremd (vgl. etwa den neueren § 46b StGB) und wird im Betäubungsmittelstrafrecht (welches bekanntlich eine besondere Nähe zum Arzneimittelstrafrecht hat) durch § 31 BtMG seit Jahren durch die Gerichte mit Erfolg angewendet und im Ermittlungsverfahren mit weiten Aufklärungserfolgen durch Staatsanwaltschaften und Verteidiger in Aussicht gestellt.

2. Die Sportstrafgerichtsbarkeit soll uneingeschränkt und unverändert erhalten bleiben. Dies ist unbestritten. Hieran wird aber auch eine Strafbarkeit des Sportlers nichts ändern. Das verbandsinterne und staatliche Strafverfahren sind zwei vollkommen unterschiedliche Verfahren mit zu differenzierenden Zielsetzungen, Rechtsfolgen und Beweis- wie Beweislastregeln – aber natürlich auch immer wieder mit Schnittstellen. Dass deren Ergebnisse faktisch und rechtlich auseinander fallen können (und manchmal sollen), mag vom Publikum unverstanden bleiben, ist aber gleichwohl systemimmanent und richtig. Der organisierte Sport ist stark genug aufgestellt, um das immer wieder zu erklären und zu schützen. Dass bei unterschiedlichen Beweisgrundsätzen („strict liability“ vs. „ein Maß an Überzeugung, das vernünftigen Zweifeln Einhalt gebietet“) verschiedene Ergebnisse auftreten können, wird erklärbar sein. Ebenso scheint es gut vermittelbar, dass der Sportler, dem strafrechtliche Ermittlungen drohen, auch im Sport berechtigt ist, die Abgabe der Urinprobe zu verweigern (nemo tenetur, …), weswegen er freilich strafrechtlich nicht belangt, aber zweifelsohne wegen Doping“vergehens“ im Sport gesperrt werden kann. Warum den Verbänden bei diesem systemimmanenten Auseinanderfallen von verbandlicher und staatlicher Judikatur, die durch die auch durch die Zivilgerichte zu achtende Verbandsautonomie nach Art. 9 Abs. 1 GG umfassend geschützt ist, Schadenersatzansprüche drohen sollen, drängt sich nicht auf. Dieses Argument wird allerdings in der neueren Debatte bekanntlich durch den DOSB ins Feld geführt.

3. Schließlich verteidigen die Verbände hier ihre eigene Verbandsautonomie, die sie – anders als den Staat – sogar berechtigt, strengere Dopingregeln aufzustellen, als der Staat es für eine Dopingstrafbarkeit könnte. Damit müssen staatliche und verbandliche Dopingdefinition und die Grenzen der  Dopingillegalität zwangsläufig auseinanderfallen: Nicht alles, was im sportlichen Verständnis unfaires Schummeln ist und sanktioniert werden soll, wird der Gesetzgeber unter staatliche Strafe stellen können.

4. Ich halte es für nicht wahrscheinlich, dass es aufgrund einer strengeren Dopingstrafbarkeit des Sportlers in Deutschland zu Wettbewerbsverzerrungen im Hochleistungssport käme. Und selbst wenn dies so wäre, wäre dies m.E. aus ethischen Gründen hinzunehmen. Dies sind wir dem gemeinsamen Kampf für einen sauberen Sport schuldig. Dass ausländische Athleten hier mit Untersuchungshaft zu rechnen hätten, falls sie eines Dopingvergehens beschuldigt werden, scheint mir eher ein abwegiger Gedanke zu sein. Erstens begründet ein Wohnsitz im Ausland nicht per se den Haftgrund der Fluchtgefahr und zweitens  ist auf ein auf ein AMG-Besitzvergehen gestützter Haftbefehl regelmäßig nicht zu erwarten, weil er schlechterdings unverhältnismäßig wäre: Bei den angedachten Strafrahmen kommt für den unbestraften Ersttäter und sogar für den Zweittäter einerseits nur eine Geldstrafe und andererseits höchstens eine Bewährungsstrafe in Betracht.

5. Dass staatlichen Ermittlungsmaßnahmen in der Tat einen Beitrag zur Dopingeindämmung und -bekämpfung leisten können, kann angesichts der jüngeren Ermittlungserfolge m.E. heute nicht mehr ernsthaft bestritten werden.

6. Nichts Außergewöhnliches und keine Horrorvision stellt es dar, dass auch sportliche Großveranstaltungen mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsmaßnahmen rechnen müssen. Die Ermittlungsbehörden müssen dort einschreiten und ermitteln, wo die Regeln nicht eingehalten werden. Dies geschieht ja nun nicht nur im Bereich der tendenziell doping-lastigen Sportarten, sondern im Bereich der Sportwetten im Fußball. Will der Sport dies zum Schutze seines insoweit guten Rufes (wenn man von einem solchen nach den nach Jahren noch vorhandenen Problemen überhaupt noch sprechen will) weitere Maßnahmen vermeiden, muss er – und zwar offensichtlich gemeinsam mit dem Staat – noch mehr tun, um den Dopingsumpf deutlich trockener zu legen. Das Drohen auch staatlicher Maßnahmen – in letzter Konsequenz auch das drohende Stigma staatlich verurteilter Straftäter zu sein – mag nicht zuletzt die benötigte Abschreckung darstellen. Die Rezeption muss auch nicht per se schlecht sein: Stattfindende Maßnahmen bedeuten auch immer, dass gegen ein erkanntes Übel tatsächlich vorgegangen wird.

Mir jedenfalls erscheint die Einführung eines systematischen Dopingstraftatbestands auch für den dopenden Sportler zwei wichtige Funktionen zu entfalten: Erstens wird der gesamtgesellschaftliche Konsens deutlich, dass solch unfaires Verhalten die Grenzen dessen sprengt, was eine moderne Gesellschaft bereit ist, sich bieten zu lassen: es stellt typisches und strafwürdiges Unrecht dar. Diese werteorientierte Theorie ist ein wichtiges Signal und der alleinig richtige Ansatz für den organisierten Sport, der für sich immer noch höchste Ideale in Anspruch nimmt. Die mögliche Strafbarkeit des Sportlers rückt ferner seine Verantwortung in den Vordergrund und ermöglicht mit den staatlichen Ermittlungsmethoden eine nachhaltigere Aufklärung der Dopingsachverhalten und -systeme. Nur bei vorsätzlichem Verhalten droht dem Sportler das strafrechtliche Verdikt – dann allerdings zu Recht. Dies zu vermeiden muss jeder Ehrenmann bestrebt sein, auch wenn dem Sportler nach dem deutschen Sanktionensystem eher in Ausnahmefällen eine tatsächlich zu verbüßende Freiheitsstrafe droht. Das ihm zugewiesene Risiko ist überschaubar und liegt alleine in seinen Händen, die ihm damit zugewiesene Pflicht allerdings eine sportsmännische Selbstverständlichkeit.

Wenn Dr. Reinhard J. Görtz mit seiner aktuellen Dissertation zu dem Thema „Anti-Doping-Maßnahmen im Hochleistungssport aus rechtlicher Sicht – Zur Ausgestaltung einer effektiven Compliance-Organisation in Deutschland“ (Dissertation Universität Münster, Gardez! Verlag, Remscheid, 2012) sehr lesenswerte Vorschläge im Hinblick auf eine konsequente sportrechtliche Repression des Sportlers macht, aber auch in den Bereichen der Prävention, Kommunikation und Kooperation weitere zweckmäßige Maßnahmen sowie die Einführung in der Wirtschaft funktionierender Maßnahmen (u.a. Hinweisgebersystem <„Whistleblowing“> mit einem „Anti-Doping-Ombudsmann“) vorschlägt, darf m.E. der Sport angesichts solch guter konkreter Vorschläge nichts unversucht lassen. Obschon der Gesetzgeber aufgrund der Verbandsautonomie und des Subsidiaritätsprinzips generell gehindert ist, Regeln des sportlichen Wohlverhaltens zu erlassen, weil hier im Ausgangspunkt eine Primärzuständigkeit der Sportverbände gegeben ist, kann dies für eine weitergehende Gesetzgebung zur Dopingstrafbarkeit, auch mit dem Sportler im Fokus, jedenfalls derzeit nicht mehr gelten. Der organisierte Sport hat auch international seine diesbezüglichen Unzulänglichkeiten derart hinreichend unter Beweis gestellt, dass zwischenzeitlich der erste Anschein dafür spricht, dass er das Dopingproblem ohne staatliche Hilfe nicht mehr in den Griff bekommt.

Literatur (über die im Text gekennzeichnete hinaus):

  • Kargl, Begründungsprobleme des Dopingstrafrechts, NStZ 2007, 489
  • Kudlich, An den Grenzen des Strafrechts – Rationale und verfassungsorientierte Strafgesetzgebung, dargestellt am Beispiel des strafrechtlichen Schutzes gegen Doping, JA 2007, 90
  • König, Dopingbekämpfung mit strafrechtlichen Mitteln (Erwiderung auf Kudlich JA 2007, 90), JA 2007, 573
  • Kudlich, Nochmals: Dopingbekämpfung mit strafrechtlichen Mitteln – Duplik und Abschluss, JA 2007, 686
  • BGH, Beschl. v. 14.12.2011, 5 StR 425/11 (zur Bewertungseinheit bei Vergehen nach dem AMG und – spannend – zur Strafzumessung, wenn Chancengleichheit und Fairness im Sport betroffen ist)