Showdown im Berufungsverfahren. Der Rechtsanwalt des Angeklagten holt in seinem Plädoyer weit aus. Er ist absoluter Experte in seinem Fachgebiet. Er kennt alle maßgeblichen Entscheidungen zu den spannenden Rechtsfragen, um die es heute geht. Die führenden Aufsätze dazu hat er gelesen; ihre wesentlichen Passagen zitiert er auswendig. Schuld und Sühne spielen bei seinen Überlegungen eine große Rolle – Gerechtigkeitsüberlegungen werden angestellt. So ist es am Schluss kaum überraschend, dass er mit dem Antrag schließt, das Urteil der ersten Instanz aufzuheben und seinen Mandanten freizusprechen. Der Vorsitzende nimmt den Schlussvortrag zur Kenntnis und protokolliert den Antrag. Dann zieht sich das Gericht zur Beratung zurück.
So weit, so bekannt? – Das Gericht ist aber kein staatliches Gericht. Es ist das DFB-Bundesgericht. Angeklagter ist nicht eine natürliche Person, sondern ein Verein der 3. Liga. Von der ersten Instanz war der Verein wegen fünf Fällen eines unsportlichen Verhaltens seiner Anhänger dazu verurteilt worden, das auf die Rechtskraft des Urteils folgende Heimspiel der 3. Liga unter Ausschluss der Öffentlichkeit auszutragen. Seine Anhänger hatten bei fünf Heimspielen Rauchbomben und Bengalische Feuer gezündet sowie Gegenstände auf das Spielfeld geworfen. Gegen diese Verurteilung zu einem sog. „Geisterspiel“ wendet sich der Verein mit seiner Berufung. Bei der diskutierten spannenden Rechtsfrage geht es auch nicht um die bekannten Auslegungsprobleme, die man sich fürs Erste Staatsexamen ins Gehirn gehämmert hat, hier geht es z.B. um die Zulässigkeit der sog. „strict liability“, also um die Frage, ob der DFB seine Mitgliedsvereine verschuldensunabhängig für Regelübertretungen ihrer Fans in Anspruch nehmen darf.
Das DFB-Bundesgericht ist das höchste Gericht im deutschen Fußball im Instanzenzug des Deutschen Fußball-Bundes. Gegen seine Entscheidungen kann noch nur das Ständige Schiedsgericht für Vereine und Kapitalgesellschaften der Lizenzligen (außerhalb des verbandlichen Instanzenzugs und anstelle der staatlichen Gerichte) angerufen werden. Das geschieht indes höchst selten. Bekannter ist noch das DFB-Sportgericht, die 1. Instanz, das regelmäßig über die Sperrstrafen in den Bundesligen nach Platzverweis entscheidet oder etwa zur Entscheidung über die „Phantom-Tor“ von Stefan Kießling berufen war. Der Rahmen bei den DFB-Bundesgerichten ist professionell: Für eine Tätigkeit im DFB-Bundesgericht, für die man beim DFB-Bundestag gewählt wird, muss man regelmäßig die Befähigung zum Richteramt haben. Sein Vorsitzender, Achim Späth, ist z.B. im Hauptberuf Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Stuttgart. Als Sportrichter ist man Ehrenamtler neben dem Beruf. Die Verhandlungen finden regelmäßig vormittags an Wochentagen statt, persönliches und zeitliches Engagement sind also eine Grundvoraussetzung für die Aufgabe. Die Verhandlung an sich folgt allgemeinen Rechts- und speziellen DFB- Verfahrensregeln, die man sich über das übliche juristische Handwerkszeug hinaus selbstverständlich anzueignen hat. Die Bundesligaklubs sind regelmäßig nicht nur durch ihre Justiziare oder Präsidenten vertreten, sondern bedienen sich exzellenter Sportrechtsexperten aus den größten Kanzleien in Deutschland. Die Position des „Anklägers“ übernimmt ein Vertreter des DFB-Kontrollausschusses. Auch hier ist die Justiz gut vertreten: Sein Vorsitzender Dr. Anton Nachreiner ist hauptberuflich Amtsgerichtsdirektor. Verhandelt wird z.T. stundenlang – und zwar durchaus im Stile eines Strafprozesses und häufig mit einer Beweisaufnahme wie sie im Buche steht.
Wenn man von Beruf Jurist ist, warum gibt man dann im organisierten Fußball noch den Sportrichter? Weil man den Fußball liebt. Und Herausforderungen schätzt. Die Kombination von juristischem Fach- und fußballerischen Sachverstand, die für diese spezielle sportrichterliche Tätigkeit eine notwendige Kombination ist, macht zugleich die Faszination aus, die diese Befassung ausstrahlt. Denn für diese Tätigkeit bedingen sich vertiefte Fachkenntnisse aus verschiedenen Welten gegenseitig, die im Ausgangspunkt unterschiedlicher nicht sein könnten. Die Herausforderung ist, die ineinander verwobenen Ansprüche und Voraussetzungen zu einem fairen und gerechten Ausgleich zu bringen. Die sportrichterliche Tätigkeit ist jedenfalls eine hervorragende Möglichkeit, den Fußball in professioneller und intensiver Weise als Hobby zu unterstützen.
Den obigen Beitrag habe ich auf Bitte des Aachener AnwaltVereins e.V. für die AAV-Mitteilungen erstellt. Er beschreibt meine Tätigkeit im DFB-Bundesgericht, dem ich seit 2010 als Beisitzer angehöre.